Ort
Produktionsvolumen
Fabrikgröße
Arbeitszeiten
Std/Woche
Lohn
Industriestandard
Franca, Sao Paulo, Brasilen
50 Paar/Woche, ca. 600 Paar/Monat
11 Mitarbeiter_innen
7.00 Uhr bis 16.30 Uhr,
inkl. 1 Stunde Mittagspause
42,5 h/Woche
1.800 BRL/Monat
(+ 275 BRL Verpflegungsbonus)
1.080 BRL/Monat
AVESU VOR ORT // AHIMSA
So entsteht ein veganer schuh
Ein Besuch in bei ahimsa in brasilienIn der kleinen Fabrik in Franca, etwa 400 km entfernt von der Millionenstadt São Paulo, ist Teamwork gefragt. Denn jeder Schuh, der hier hergestellt wird, geht hier durch die immer gleichen sieben Paar Hände. Aber das ist nicht alles, was ahimsa so besonders macht. Gegründet wurde ahimsa von Gabriel Silva, der praktisch in der Schuhfabrik seines Vaters Cisco Silva aufwuchs, der seinerseits seit Jahrzehnten Schuhe für bekannte Versandhäuser genauso wie namhafte Designer herstellt. Und eine Tür weiter, nur durch eine Wand getrennt, sitzt nun Gabriel mit seiner eigenen Fabrik und seiner ganz eigenen Idee.
Nach seiner Arbeit als Pilot für diverse Fluglinien fand Gabriel zurück zur Profession seines Vaters, der Schuhherstellung. Das ist in Braslien, dem Land mit der drittgrößten Schuhindustrie der Welt, zunächst nichts Ungewöhnliches. Allein in der Stadt Franca, die neben Novo Hamburgo im Süden des Landes zu den Schuhhochburgen Brasiliens zählt, kommen auf 350.000 Einwohner_innen an die 500 Schuhfabriken.
»Question habits, provoke change, without harm and with lots of respect.«, oder zu Deutsch »Gewohnheiten in Frage stellen, Veränderung vorantreiben, ohne Schaden und mit viel Respekt.«, lautet das brand statement von ahimsa.
Alle Produkte aus der Hand des 26jährigen sind aus veganen und nachwachsenden, nachhaltigen Rohstoffen gefertigt. Vom ersten Entwurf, über die Materialauswahl bis zum finalen Zusammenfügen der Einzelteile – jeder Schritt wird von Gabriel mitbetreut.
Im März 2016 haben wir ihn in seiner Fabrik in Franca besucht, wo er uns mit Begeisterung jeden einzelnen Arbeitsschritt seiner veganen Schuhproduktion erläuterte.
»Wir betreiben die bisher einzige vegane Schuhfabrik der Welt.«
Dass Gabriel so direkt an der Produktion der Schuhe beteiligt sein kann, ist keine Selbstverständlichkeit. Die meisten Schuhmarken sind auf große Fabriken angewiesen, die Modelle für viele verschiedene Brands herstellen und üblicherwiese nur die Fertigung von Modellen anbieten, die zu ihrer Ausstattung, sprich den vorhandenen Maschinen und Produktionsstraßen, passen. Zwischen Lederschuhen und veganen Modellen wird dort nicht unterschieden. Die Fabrik von ahimsa hingegen ist genau für die Schuhe ausgerüstet, die ahimsa herstellen möchte. So kann jeder Arbeitsschritt kontrolliert und eine Garantie für alle Materialien und Inhaltsstoffe geben gegeben werden. Aus Prinzip kommt in dieser Fabrik nirgends Leder oder anderes tierisches Material zum Einsatz. »Wir sind die bisher einzige komplett vegane Schuhfabrik weltweit«, sagt Gabriel und präsentiert den Klebstoff, der hier ausschließlich verwendet wird. Er wird auf Wasserbasis hergestellt und kommt von einem Hersteller aus der direkten Nachbarschaft.
Wie wird eigentlich ein Schuh gemacht?
Egal ob kleine Fabrik mit zehn Mitarbeiter_innen oder Massenproduktion: Die Arbeitsschritte, die für die Herstellung eines Schuhes nötig sind, sind im Grunde die gleichen.
Schuhproduktion ist immer eine Menge Handarbeit, da sich viele Modelle stark voneinander unterscheiden und so kompliziert vernäht sind, dass sich viele Prozesse kaum maschinell umsetzten lassen. Trotzdem ist es bei ahimsa noch einmal etwas anders. Hier gibt es keine Fließbänder oder Computer, jeder einzelne Schuh wird von Hand von einer Arbeitsstation zur nächsten gebracht und die Stückzahlen sind so überschaubar, dass alle noch genau wissen, welchen Schuh oder welchen Gürtel sie zuletzt in der Hand hatten.
ENTWURF UND MATERIAL
Am Anfang eines jeden Schuhes steht natürlich ein Designentwurf, bei dem auch das Obermaterial und die Sohle ausgewählt werden. Diese Entwürfe macht Gabriel selbst. Auf seinem iPhone sammelt er Fotos und Screenshots zur Inspiration, in einem Regal in seinem Büro stehen Prototypen und Modelle, die er interessant findet, so wie neue Materialen und Sohlen, die er bald an neuen Schuhen ausprobieren möchte. Aus seinen Skizzen werden dann Schnittmuster für die Einzelteile des Modells erstellt, also die Formen für Seitenteile, Ferse und Zunge.
Der Schnittmeister
Jacinto ist zuständig für den Beschnitt. Er arbeitet seit Gründung des Unternehmens bei ahimsa. Was anderswo ein Computer berechnet, macht Jacinto im Kopf. Ziel ist es, die einzelnen Schnittmuster so auf dem Material zu platzieren, dass möglichst wenig Reste entstehen. Der Blick in den Mülleimer beweist: Jacinto ist ein echter Profi. Geleert wird der Müll hier nur freitags, und Jacinto hat selbst am Donnerstag noch nicht die Tonne voll. Auf Mülltrennung wird hier übrigens geachtet – in Brasilien keine Selbstverständlichkeit.
Das Ergebnis von Jacintos Arbeit sind Bündel von Stoffstücken, die wie kleine Bausätze für die verschiedenen Größen aller Schuhmodelle gelagert werden, bis sie an der Reihe sind.
An der Nähstation nimmt sich Antonio die vorbereiteten Teile für ein Modell vor und vernäht sie miteinander. Hierbei wird auch direkt das Lining, also das Innenfutter mit vernäht. Valdirene trägt mit einer Sprühpistole den wasserbasierten Klebstoff an die Stellen auf, wo ein Polster zwischen Obermaterial und Innenfutter geklebt wird, zum Beispiel als Padding an der Ferse oder in der Zunge des Schuhs.
Patricia arbeitet seit Anfang 2016 bei ahimsa und ist damit die Neueste und Jüngste im Team. Sie arbeitet mit Valdirene an der Nähstation und setzt Ösen zum Schnüren ein. Das vernähte Obermaterial mit dem Lining und dem Padding ergibt schon den gesamten oberen Teil des Schuhes, den Schaft. Richtig hingebogen, sieht das schon fast aus wie ein Schuh.
Der Leisten gilt als Herzstück der Schuhherstellung. Schon beim Design ist der dem Fuß nachempfundene Holzleisten maßgeblich für die Form des Schuhs. Der Leisten bestimmt die beispielsweise die Absatzhöhe, die Weite des Schuhs, die Form der Toebox und natürlich auch die Schuhgröße. Während der Leisten beim Design aber eher als Richtlinie fungiert, ist er für die Produktion des Schuhs unerlässlich.
Der fertig genähte und geklebte Schaft wird mit der Brandsohle, bzw. der Innensohle vernäht und so um den Leisten befestigt. Bei ahimsa ist dafür der gut gelaunte Ailton zuständig. Der mit dem Schaft bespannte Leisten wird leicht befeuchtet und kommt in einen Ofen, in dem Klebstoff und Material erhitzt werden. So schmiegt sich der Schaft an den Leisten an und erhält die benötigte Form.
Im oberen Stockwerk der großen Fabrik befindet sich das Lager für die Schuhsohlen. Viele Schuhhersteller produzieren eigenen Sohlen, die aus Gummi oder Kunststoffen gegossen und gepresst werden. ahimsa hingegen bezieht bereits gefertigte Sohlen aus einer Partnerfabrik, die sich nur wenige Kilometer entfernt befindet. Das natürliche Gummi (Kautschuk) dafür kommt aus dem brasilianischen Regenwald.
Nachdem der obere Teil des Schuhs abgekühlt ist, trägt Ailton Klebstoff auf die Unterseite, den Rand des Schaftes und auf die Sohle auf, die das Gegenstück zum Schaft werden soll. Beides kommt in den Ofen, der den Klebstoff nochmals erhitzt und besonders bindungsfähig macht. Dann fügt Fabiano Sohle und Schaft vorsichtig aufeinander. In einer speziellen Maschine wird durch ein Vakuum Druck ausgeübt, um den größtmöglichen Bindung der Materialien zu erzielen. Das Ergebnis: Ein veganer Sneaker.
Jetzt müssen nur noch die Schnürsenkel rein, und der Schuh ist komplett! An dieser letzten Station arbeitet Carlos, und der ist von Berufswegen Perfektionist. Denn er ist zuständig für die letzte Qualitätskontrolle. Hier werden letzte Fussel, mögliche Klebereste oder übrige Fäden entfernt. Jeder Schuh, den ihr von ahmisa erhaltet, wurde von Carlos überprüft und in den Karton gepackt.
Die Produktion einer Sandale ist erwartungsgemäß einfacher. Bei der Cravo Sandal werden die zugeschnittenen Riemen ineinander verflochten und dann in passende Öffnungen der vorbereiteten Sohle gesteckt. Dort werden die Riemen an der Unterseite des Fußbettes festgeklebt. Dann kommt ein Sandalenleisten zum Einsatz, in diesem Falle einer mit einem Zehenausschnitt. Der Leisten bringt die Riemen in die gewünschte Form. Zum Schluss wird noch die Sohle befestigt und fertig ist der vegane Sommertraum. 100% Handarbeit.
Die Kartons werden fein säuberlich gestapelt, wo sie mit Hilfe des Office-Teams ihren Weg zu Kund_innen oder zu Händler_innen wie avesu finden. Darum, und um die Belange der Kund_innen, kümmern sich Cris und Gustavo. »Wir haben viele Anrufe. Bei veganen Schuhen wollen die Leute oft ganz genau wissen, wie sie hergestellt werden oder welche Materialien verwendet wurden. Oder einfach nur wie man einen Onlineshop bedient.« Doch solche Fragen sind kein Problem für ahimsa. Nicht nur die bescheidene Größe des Unternehmens ermöglicht hier die Transparenz, sondern auch die Leidenschaft und Ehrlichkeit, mit der das Team hinter der Arbeit steht. Und alles an einer zentralen Stelle. Wenn mal eine Frage auftaucht, trennt das Support-Team nur eine große Fensterwand von der Fabrik,und die Tür zum Büro von Gabriel Silva steht immer offen.
»Bei veganen Schuhen wollen die Leute oft alles ganz genau wissen.«
Im Gespräch mit Gabriel wird klar, dass ihm seine Mitarbeiter_innen sehr am Herzen liegen. Viele waren von Anfang an dabei, und auch auf das Alter seiner Mitarbeiter_innen ist er stolz. Die meisten sind längst über 50, doch auch wer keine 20 mehr ist, sollte es auf dem Arbeitsmarkt nicht schwerer haben, findet Gabriel. Sein Team gibt ihm Recht. In der Fabrik herrscht eine entspannte, kollegiale Atmosphäre. Im Pausenraum hängen viele Mopedhelme, die meisten kommen mit dem beliebtesten und günstigsten Fortbewegungsmittel Brasiliens zur Arbeit. Auf dem großen Tisch stehen noch halbvolle Kaffeetassen, offenbar wird hier in der Mittagspause zusammengesessen. »Natürlich haben wir bei der Unternehmensgröße keine Kantine,« erzählt Gabriel, »Viele bringen sich ihr Mittagessen deshalb von zuhause mit. Wir bezahlen aber einen zusätzlichen Essensbonus von 275 Real monatlich, die mit einer Kreditkarte in den örtlichen Supermärkten ausgeben werden können, um unser Team bei der Verpflegung zu unterstützen.«
»Wir sind eine noch junge Firma«, sagt Gabriel. »Wir arbeiten ständig an neuen Materialien und Prozessen, um unsere Schuhe noch besser und nachhaltiger machen können.« Gerade hat er einen neuen Produktionsleiter eingestellt, der viele Schuhmodelle optimiert hat. Zertifikate und externe Kontrollen kann sich das kleine Unternehmen nicht leisten. Fast schon zynisch, dass Siegel für faire Arbeitsbedingungen oder Nachhaltigkeit teuer bezahlt werden müssen, und somit für kleine Unternehmen fast unmöglich zu bekommen sind.
Doch nicht nur aus dieser Not heraus hat ahimsa den Ansatz der Transparenz gewählt. »Kommunikation ist dem Unternehmen sehr wichtig. Gabriel möchte, dass alle verstehen, warum er vegane Schuhe herstellt, und dass er in seiner Fabrik nichts zu verbergen hat. Ganz im Gegenteil. »Wir möchten«, so Garbiel, »dass unsere Kund_innen sehen, wo ihre Schuhe herkommen, wer sie gemacht hat, und dass wir als Marke hinter unserem Versprechen stehen.«
avesu 2016 | Fotos: © N. Raeuber